Onboarding von Aufsichtsratsmitgliedern

Prof. Dr. Peter Henning
BOARD
Ausgabe 04 / 2019

Erstmals schlägt der Deutsche Corporate Governance Kodex vom Mai 2019 mit einer neuen Empfehlung vor, dass die Gesellschaft neue Mitglieder des Aufsichtsrats bei ihrer Amtseinführung angemessen unterstützen soll. Für Finanzinstitute gibt es hierzu schon seit 2014 eine gesetzliche Regelung, die sich in der Praxis bewährt hat. Der nachfolgende Beitrag soll die Notwendigkeit derartiger Einführungskurse für neue Aufsichtsratsmitglieder aufzeigen und Empfehlungen für die praktische Umsetzung geben.

Inhalt 

I. Ausgangslage 
II. Überlegungen zur Umsetzung der Empfehlung 
III. Unterstützung durch das Aufsichtsratsbüro 
IV. Fazit
 

I. Ausgangslage 

Bisher fehlten sowohl eine gesetzliche Regelung für Unternehmen außerhalb der Finanzindustrie als auch eine konkrete Empfehlung im Kodex (DCGK), wie neu in den Aufsichtsrat gewählte Mitglieder möglichst zügig und den konkreten Anforderungen der jeweiligen Gesellschaft entsprechend, in ihr Amt eingeführt werden. Auch das Aktiengesetz überlässt es vielmehr den Gesellschaften hier tätig zu werden. Dies ist erstaunlich, da es gerade bei großen Unternehmen, die weltweit agieren und daher komplex aufgestellt sind, für neue Aufsichtsratsmitglieder häufig sehr schwierig ist, zügig auf den Erfahrungs- und Wissensstand der bisherigen Mitglieder des Gremiums zu kommen. Diese haben oft einen jahrelangen Vorsprung aus den bisherigen Sitzungen und kennen nicht nur die Sitzungsunterlagen, sondern auch die Diskussionen mit dem Vorstand sehr gut. Ein derartiger Informationsrückstand ist für die effektive Aufgabenwahrnehmung häufig von Nachteil. 

Oft ist sogar zu beobachten, dass neuen Mitgliedern kein Zugang zu den bisherigen Unterlagen und Sitzungsprotokollen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse gewährt wird. Neu in den Aufsichtsrat gewählten Mitgliedern fehlt zudem neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden, der auch nicht ständig vor Ort ist, ein direkter Ansprechpartner im Unternehmen. 

Eine gezielte Einarbeitung in unternehmensspezifische Themen und Strukturen ist für alle neuen Aufsichtsratsmitglieder, wenn sie nicht schon vorher in anderer Eigenschaft als Vorstandsmitglieder an den Sitzungen teilgenommen haben, wichtig und erforderlich. Dies gilt in besonderem Maße, wenn Kandidaten erstmals eine Aufgabe im Aufsichtsrat übernehmen, nicht auf eigene Erfahrungen aus anderen Aufsichtsratsmandaten zurückgreifen können oder aufgrund der zunehmenden Internationalisierung der Aufsichtsratstätigkeit aus einem anderen Governance System kommen. Ein Prüfungsausschuss entspricht in vielen Bereichen nicht einem angelsächsischen Audit Committee. Das zeigt wie wichtig es ist, das spezielle deutsche zweistufige Board-System zu erläutern und auf wesentliche Unterschiede und Verantwortlichkeiten aufmerksam zu machen. 

Zurecht hat daher der Gesetzgeber zumindest für Finanzinstitute mit der CRD IV Richtlinie der EU 2014 eine diesbezügliche Regelung in das KWG aufgenommen. Nach § 25d Abs. 4 KWG müssen Institute, Finanzholding-Gesellschaften und gemischte Finanzholding-Gesellschaften angemessene personelle und finanzielle Ressourcen einsetzen, um den Mitgliedern des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans die Einführung in ihr Amt zu erleichtern und Struktur, Geschäftsmodell, Risikoprofil und Governance-Regelungen des Instituts sowie die Rolle der Mitglieder zu vermitteln. Die im Jahr 2017 verabschiedeten Leitlinien zur Bewertung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und Inhabern einer Schlüsselfunktion der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) und der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) sehen sogar vor, dass Aufsichtsratsmitglieder neben ihrer eigentlichen Tätigkeit auch hierfür ausreichend zeitlich verfügbar sein müssen. Der Aufwand ist schriftlich zu erfassen. Neue Mitglieder des Aufsichtsrats sollten spätestens einen Monat nach Antritt ihrer Position wichtige Informationen erhalten und die Einführung sollte innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen sein. Die Aufsichtsbehörden sind über den erfolgreichen Abschluss der Einführungen zu informieren. 

Der Kodex empfahl in Ziffer 5.4.5 Abs. 2 bisher Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen: „Die Mitglieder des Aufsichtsrats nehmen die für ihre Aufgaben erforderlichen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen eigenverantwortlich wahr. Dabei sollen sie von der Gesellschaft angemessen unterstützt werden.“ Die einschlägige Kommentierung zu § 25d KWG geht davon aus, dass auch die Einführungen in das Amt hierunter fallen. Da nach § 25d Abs. 4 KWG den Mitgliedern die Einführung in ihr Amt erleichtert werden soll, sind auch Fortbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, die dem Mitglied die für die Kontrolltätigkeit erforderlichen Mindestkenntnisse erst verschaffen sollen. Das ist jedoch nach Auffassung des Verfassers ein anderes Thema. Die Einführung eines neuen Aufsichtsratsmitglieds ist keine Fortbildungsmaßnahme, sondern ist unternehmensspezifisch angelegt. Ohne unternehmensspezifische Kenntnisse kann die Einführung nicht durchgeführt werden. 

II. Überlegungen zur Umsetzung der Empfehlung 

Auch wenn die Erläuterungen zum neuen Kodex nicht begründen, warum erstmalig eine derartige Empfehlung aufgenommen wurde, erschließt sich der Zweck schnell. So haben neue Aufsichtsratsmitglieder in der Vergangenheit immer wieder berichtet, dass sie häufig bis zu zwei Jahre benötigen, das Unternehmen und die diesbezüglichen spezifischen Besonderheiten zu verstehen, um ihrer Überwachungstätigkeit gegenüber dem Vorstand angemessen nachkommen und diesen insbesondere in Bezug auf die Strategie konstruktiv beraten zu können. 

Daher sollten Unternehmen in Abstimmung mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden schon frühzeitig, am besten noch vor der Wahl durch die Hauptversammlung, auf die vom Aufsichtsrat vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten zugehen und mit ihnen den genauen Bedarf definieren und einen entsprechenden Zeitplan erarbeiten. Der Umfang der gebotenen „Einführung“ neuer Organmitglieder folgt dem Proportionalitätsprinzip. So steigen in Abhängigkeit von Art, Umfang und Komplexität der betriebenen Geschäfte und der damit erforderlichen Sachkunde auch die Anforderungen an die Einführung neuer Organmitglieder. 

Zunächst ist es wichtig, die neuen Mitglieder mit einer „Einführungsmappe“, die die Statuten, Geschäftsordnungen, den letzten Geschäftsbericht und wichtigsten Unternehmensunterlagen enthält, zu versorgen. Außerdem sollten sie die letzten Prüfungsberichte des Abschlussprüfers, die wichtigsten Aufsichtsratsunterlagen und die Protokolle der letzten Sitzungen erhalten. Entscheidend ist dabei auch, welche Beschlüsse der Vergangenheit noch nicht vollständig abgearbeitet sind bzw. größere Auswirkungen auf die Gegenwart und Zukunft des Unternehmens haben. 

Für die Bereitstellung aller Unterlagen bietet sich ein internetbasierter elektronischer Datenraum an, damit die Mitglieder nicht extra hierfür anreisen müssen. Wenn der Datenraum des Aufsichtsrats so strukturiert ist, dass nicht nur die aktuellen Sitzungsunterlagen für die nächste Sitzung verfügbar sind, sondern auch als Archiv für alle Mitglieder genutzt wird, erhalten die neuen Mitglieder einen direkten Zugang und können sich nach einer kurzen Erläuterung der Struktur und des Aufbaus des Datenraums alle wichtigen Unterlagen selbstständig erarbeiten. 

Neben schriftlichen Unterlagen sind individuelle Gespräche mit den Kernfunktionen im Unternehmen sinnvoll. In einem ersten Schritt sollten sie – wenn noch nicht geschehen – alle Vorstandsmitglieder kennen lernen und einzeln persönlich treffen, um mit diesen über die von ihnen verantworteten Vorstandsressorts und insbesondere dort bestehende aktuelle Themen von Relevanz für den Aufsichtsrat zu sprechen, die die bisherigen Aufsichtsratsmitglieder schon kennen. Aber auch mit wichtigen Schlüsselpersonen im Unternehmen, wie die Leiter der Internen Revision, der Compliance-Abteilung sowie Vertretern des Abschlussprüfers, sollte persönlich in Abstimmung mit dem Vorstand gesprochen werden. Weitere sinnvolle Gesprächspartner sollten die Vorstandsmitglieder nennen. Darüber hinaus werden als wichtiger Teil des Einführungsprogramms auch immer Gespräche mit weiteren Aufsichtsratsmitgliedern sein, wobei hierzu insbesondere die Ausschussvorsitzenden und der stellv. Aufsichtsratsvorsitzende gehören sollten. 

In der Praxis erfolgen Einführungen sehr individuell, da die neuen Mitglieder sehr unterschiedliche Vorkenntnisse aufweisen und zum Teil auch verschiedenen Ausschüssen angehören werden. 

III. Unterstützung durch das Aufsichtsratsbüro 

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem gut aufgestellten Corporate Office oder Aufsichtsratsbüro können bei den aufgezeigten Aufgaben tatkräftig unterstützen und die Prozesse effizient aufsetzen und ihre Umsetzung steuern. Zum einen sind sie Vertrauenspersonen der Aufsichtsratsmitglieder und zum anderen kennen sie die Aufgaben, die Corporate Governance und den Ablauf der Sitzungen sowie die Sitzungsunterlagen sehr gut. Denn es sind in der Regel Mitarbeiter aus diesen Bereichen, die die Sitzungsprotokolle erstellen und abstimmen. 

Auch die Abstimmung des Zeitplans des „Onboarding Prozesses“ kann das Aufsichtsratsbüro effizient unterstützen. Es kann den Einführungsplan erstellen, die Termine mit dem Vorstand, anderen Unternehmensvertretern und den neuen Mitgliedern koordinieren sowie die Unterlagen der vergangenen Sitzungen erläutern, Fragen beantworten und weitere Hinweise geben.

 IV. Fazit 

Der Prozess zum Onboarding von neuen Aufsichtsratsmitgliedern wurde bisher wenig diskutiert. Eine Best Practice scheint sich noch nicht herausgebildet zu haben. Vor dem Hintergrund der weiteren Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit ist dies ein notwendiger Schritt. Ziel der Einführungen sollte es insbesondere sein, nach möglichst kurzer Zeit auf denselben Kenntnisstand über die spezifischen Themen des Unternehmens zu kommen, den auch ein gut informiertes Aufsichtsratsmitglied, das dem Aufsichtsrat bereits seit mehreren Jahren angehört, hat. Dies liegt nicht nur im Interesse der neuen Aufsichtsratsmitglieder und des Aufsichtsrats, sondern auch der weiteren Stakeholder und der Unternehmen selber.

Checkliste Onboarding

  • Genauen Bedarf definieren und einen entsprechenden Zeitplan erarbeiten

  • „Einführung“ neuer Organmitglieder folgt dem Proportionalitätsprinzip

  • Organisatorische Einbindung des Aufsichtsratsbüros

  • „Einführungsmappe“ erstellen mit:

• den Statuten
• Geschäftsordnungen
• dem letzten Geschäftsbericht und
• wichtigsten Unternehmensunterlagen
• den letzten Prüfungsberichten des Abschlussprüfers
• den wichtigsten Aufsichtsratsunterlagen
• den Protokollen der letzten Sitzungen und
• den offenen Beschlüssen

  • Individuelle Gespräche mit dem AR und den Kernfunktionen im Unternehmen:

• Aufsichtsratsvorsitzender bzw. stellvertretender ARV
• Ausschussvorsitzende
• Vorstandsmitglieder einzeln
• Leiter der Internen Revision
• Leiter Compliance-Abteilung sowie
• Vertretern des Abschlussprüfers
• ggfls. weitere Gesprächspartner nach Abstimmung mit Vorstand

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Einführungen für neue Aufsichtsratsmitglieder